Angst kann durch das unterdrücken anderer Gefühle ausgelöst werden. Zum Beispiel Traurigkeit.
Das ist der eine Satz, der mir aus dem Buch, was mir die schlaue Frau empfahl und was ich gestern zu lesen begann, im Kopf blieb.
Das ist auch der Satz, der Abschnitt, in dem ich mich wieder fand. Indem ich darüber nachdachte, dass ich der Angst derzeit so viel Raum gebe, damit ich nicht traurig sein muss. Woran ich es merkte? Wenn ich mich versucht habe, mit der Angst auseinander zu setzen, wurde ich erst wütend und dann, als ich allein war, konnte ich nur noch weinen.
Ich bin enttäuscht von mir. Ich weiß, dass ich keine Angst haben muss, den Partner zu verlieren, wenn ich nach Hause gehe.
Und ich nehme mir vor “ Heute gehe ich heim “ . Und dann kommt ein Reiz, der die Angst auslöst, es muss nichts großes sein. Meist ist es ein einziger Gedanke … Und ich gehe ich nicht.
Denn wenn ich ginge, könnte es passieren, dass ich Traurigkeit oder Überforderung empfinde. Lieber verstecke ich sie hinter der Angst. Die mir noch unangenehmer ist, als die anderen beiden Gefühle. Und trotzdem ist sie das, was ich kenne.
Die Angst – sie ist mir vertraut. Sie durfte da sein. Denn mit ihr war ich immer allein.
Traurig sein durfte konnte ich nicht. Da war kein Platz für. Lernte ich auch nie. Denn bevor ich traurig sein konnte, hatte ich mich schon wieder an den Partner geklammert.
Ich kenne es nur so. Ich habe es nicht anders gelernt. Wobei, doch. Die letzten 2 Jahre in der Therapie. Warum kann ich es jetzt nicht umsetzen?
Das ist es, was mich beschäftigt.
Aktiv entscheiden und durchziehen sagt die schlaue Frau. Habe ich gestern nicht geschafft. Heute auch nicht.
Und wenn ich daran denke oder darüber sprechen, spüre ich die Spannung in der Brust. Ich erkenne : es ist keine Angst. Es ist Trauer.
Das Kind in mir ist traurig. Und das tut mir weh. Ein Ziehen in der Brust. Und während ich das wahrnehme, sehe ich wie das Kind, ich dort sitze und weine. Und wie ich mich zurück ziehe. Im weißen, leeren Raum. So wie immer. Entweder sitzt mein Kind im Raum – das ist das einsame Kind, die einsame Lynn. Oder ich sehe mich im Bett liegen, da bin ich traurig. Wenn ich es im Treppenhaus sitzen sehe und sehe wie es unermüdlich streitet, ist es mein wütendes Kind.
In diesem Fall stehe ich, die erwachsene Lynn, weit weg von meinem eigenen, einsamen Kind. Das passiert oft, wenn das Kind in dem großen, leeren Raum sitzt. Ich kann es nicht erreichen.
Es Ich kann mich nicht sehen. Es Ich sitze bloß da. Alleine. Und weine. Und hoffe, dass mich die Erwachsene bald tröstet.
Während dieses Gefühl da ist, führe ich ein angespanntes, aber ruhiges und konstruktives Gespräch mit dem Partner, welches mich noch mehr lähmt. Ich frage ihn zum Ende, was er denkt… ob wir genau da stehen, wo wir letztes Jahr zu dieser Zeit standen.
Er sagt ‚ Nein.‘
Ich sage ‚ Es fühlt sich aber so an. Ich sehe keine Fortschritte“
Stille. Dann fragt er, ob er mir jetzt sagen solle, was für Fortschritte. Ich nicke.
Etwas genervt aber abermals konstruktiv und sehr pragmatisch zählt er auf:
- Letztes Jahr um diese Zeit waren wir getrennt. Dieses Jahr sind wir zusammen. Fortschritt.
- Letztes Jahr um diese Zeit habe ich erst 2 Stunden geschrien, bis ich an den PC gehen konnte. Dieses Jahr nicht. Fortschritt.
- Letztes Jahr konntest du nicht so ruhig hier liegen. Dieses Jahr schon. Fortschritt.
- Letztes Jahr konnten wir nicht so ruhig über das Thema von eben reden, wir haben keine Lösungen gefunden, uns nur angefeindet. Dieses Jahr nicht. Fortschritt.
“ Okay. Danke.“
“ Jetzt komm hoch, mein Schatz. Komm raus aus dem Tief, wir hatten ein gutes Gespräch, ich sitze jetzt am PC, mir geht es gut. Jetzt komm hoch und kümmere dich um dich.“ Sagt er zu mir, die zusammen gekauert auf dem Sofa liegt.
“ Soll ich dir einen Tee machen?“ Ich hebe den Kopf und nicke. „Danke“
Wisst ihr, das sind wirklich Dinge, die letztes Jahr nicht möglich gewesen wären. Ich bin sehr dankbar dafür.
Und gleichzeitig bin ich traurig. Und müde. Wütend und ängstlich. Frustriert und überfordert.